Inselland – Saaremaa

Bei der Erfindung dieses Inselnamens war jemand sehr kreativ. Ja, der Titel ist tatsächlich eine wörtliche Übersetzung. Seltsam, denn Estland hat nicht nur diese Insel. Je nach Zählung sind es mindestens 1500 oder sogar über 2000 Inseln. Ich gehe davon aus, dass dabei fast jeder Fels mit gezählt wurde, der aus dem Wasser ragt. Saaremaa ist die größte von ihnen und Ziel eines kleinen Roadtrips am 3. Adventswochenende.

Wenn die Winter kälter sind und die Ostsee gefroren ist, kann man mit dem Auto sogar einfach übers Eis nach Saaremaa fahren. Dabei darf man sich nicht anschnallen, um zur Not das Auto möglichst schnell verlassen zu können. Ein Traum, der leider für mich nicht wahr wird. Stattdessen erreichen wir nach zweieinhalb Stunden Autofahrt die Fähre (weiter ist kaum etwas in Estland von Tallinn entfernt). Die bringt uns zuerst nach Muhu, der drittgrößten Insel, die man schnell in 15 Minuten durchfahren kann. Von dort gibt es eine kurze Strecke über einen Damm nach Saaremaa.

Als erste Attraktionen wurden uns vom Reiseführer zwei Kirchen empfohlen. Sie wirken viel zu riesig für die kleinen Dörfer darum herum. An einer Stelle des Weges wurde der Weg durch grobes Kopfsteinpflaster ersetzt. Wir verbringen ewig auf diesem Weg und wären auf einem ausgefahreren Trampelpfad auch noch weniger durchgeschüttelt worden.

Ruhe

Das sollte man noch über Saaremaa wissen: Ziemlich viele estnische Lebensmittel kommen von hier. Eine Sorte süße Kohuke, Vodka mit Getreidehalmen, Käse, Mineralwasser mit Windmühlenmotiv. Saaremaa scheint der Inbegriff des Landlebens in Estland zu sein oder kann sich nur gut so vermarkten.

Was uns ziemlich bald auffällt: Saaremaa ist ziemlich ausgestorben. Man kann sich vorstellen, dass sich hier im Sommer viele TouristInnen tummeln und EstInnen ihre Ferienhäuser beziehen. Im Dezember ist davon gar nichts zu spüren. Sogar den Kali-Krater haben wir ganz für uns alleine. Hier ist vor Ewigkeiten ein Meteorit vom Himmel gefallen, einer der wenigen in bewohntem Gebiet. In Legenden ist dies der Platz, an dem ein Funken Sonne vom Himmel gefallen ist. Angeblich wird der Meteoriteneinschlag sogar in der griechischen Mythologie behandelt. Mit 110 Metern Durchmesser sehen der Krater und der zugefrorene See darin schon beeindruckend aus. Die kleineren Krater von anderen Meteoritenteilen sind aber kaum noch zu erkennen.

Ich muss sehr oft an eine Stunde in “Estonian Regional Studies” denken. Unsere Dozentin zeigte uns einen einstündigen Film über heilige Orte in Estland. Totale auf einen verdorrten Baum. Langsamer Schwenk über eine friedliche Lichtung. Langsamer Zoom auf einen Stein. Voller Moos! Trotz starker Langeweile kann ich verstehen, dass die Menschen in der Ruhe der Natur etwas Spirituelles finden. Was ich nicht verstehe, ist, dass sie auf Steinen Münzen als Geschenk für ihre heiligen Orte hinterlassen … Unsere Dozentin hat uns auch von ihrem persönlichen heiligen Baum erzählt. Wenn sie ihn auf ihrer morgendlichen Joggingroute sieht und umarmt, gibt ihr das Kraft.

Auch in Kuressaare, der Hauptstadt der Insel, haben wir alles für uns. Den Spaziergang um die Burg morgens und abends. Sogar das Hostel hat außer uns keine anderen BesucherInnen. Zum Glück geht die Besitzerin beim zweiten Anruf an ihr Telefon uns lässt uns von ihrer Tochter öffnen.

Ein Plumpsklo direkt neben einer Kirche.
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