Ich ziehe meine Mundwinkel nach unten und bilde hinten in meiner Kehle einen Laut. “Õun!”, macht Kaja mir vor und wiederholt den ersten Buchstaben des Wortes (Apfel) noch einmal extra langgezogen, damit ich es ihr nachmachen kann.
Eigentlich dachte ich, dass die estnische Sprache wenigstens leicht auszusprechen ist. Das r wird schön rollend ausgesprochen, die Betonung liegt immer auf der ersten Silbe und ein doppelter Vokal oder Konsonant wird länger gesprochen als wenn er nur einmal vorkommt. Das klingt einfach. Das kann ich mir merken. Aber ganz so einfach ist es leider doch nicht.
Nicht nur das õ macht mir zu schaffen. Es liegt irgendwo zwischen deutschem o, u, ö und ü. Auch das ä wird in Estland anders verwendet. “Nein, das ist ein e!”, findet Kaja, als ich es ausspreche. Das estnische ä klingt wie in “Bäh!” oder einem fragenden “Äh?”.
Bevor ich Kaja kennen gelernt habe, habe ich ein halbes Jahr lang Vokabeln und Grammatik gelernt und Sätze von meiner Lern-CD nachgesprochen. Unser Treffen zeigt mir, dass ich dafür noch kaum flüssig sprechen kann. Zum ersten Mal gesprochen habe ich mit Kaja über Skype. Ausgerechnet – Skype ist eine der wichtigsten Erfindungen aus Estland und wird in allen Artikeln als erfolgreiches Beispiel für die schnelle digitale Entwicklung des Landes genannt.
Zum Lernen hat mir Kaja Kindermärchen von einem Radiosender geschickt und Zeichentrickvideos, in denen ein kleiner Bär mit seiner Mutter Piroggen backt.
“Frag mich noch eine Vokabel! Frag weiter!”, fordert mich Kaja auf, während sie unseren Apfelkuchen (Õunakook) in den Ofen schiebt. Und ich frage so viel ich kann und versuche alles nachzusprechen. Dabei lerne ich, dass EstInnen verwirrt sind, wenn Deutsche “aua” sagen. Sie halten dann nach einem Hundewelpen Ausschau.
Von ihrem letzten Besuch in Estland, hat mir Kaja sogar eine estnische Zeitung mitgebracht, den “Postimees” (Postbote). Durch die Bilder und einige bekannte Wörter kann ich den Inhalt immerhin erraten – für die Feinübersetzung muss bisher noch der Google Translator herhalten.
Kaja ist noch ein Wort eingefallen, in dem ä gleich vier mal vorkommt. “Jäääär! Das heißt Eisrand.” Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann auf estnisch eine Unterhaltung über Eisränder führen kann.
Hier vorhin erwähntes Zeichentrickvideo …