Den Dialog an der Supermarktkasse beherrsche ich schon in Perfektion. “Tere”, sagt die Verkäuferin. “Tere!” sage ich und warte darauf, dass sie mir auf Estnisch den Preis meines Einkaufs nennt. Meistens verstehe ich ihn, aber ich kann auch einfach auf der elektronischen Anzeige nachsehen. Ich bezahle und bedanke mich mit “Aitäh!” für das Wechselgeld.
Viel mehr Estnisch brauche ich im Alltag nicht. Das Klischee besagt, dass EstInnen wortkarg sind und nur reden, wenn sie wirklich etwas Wichtiges zu sagen haben. Mir wurde eingetrichtert, dass ich niemals, aber wirklich niemals, auf der Straße jemanden nach der Uhrzeit fragen soll. Schließlich kann ich das ja auch auf meinem Handy nachsehen, eine öffentliche Uhr suchen oder nach Hause laufen. In Estland sprechen offenbar nur PsychopathInnen Fremde an.
Um möglichst estnisch zu wirken, sollte ich also meistens gar nichts sagen. Auf Dauer reicht mir das nicht und ich suche nach Wegen, wie ich meine Sprachkenntnisse verbessern kann. Leider beginnt mein A2 Sprachkurs erst Ende Oktober. Die ersten Erfolgserlebnisse habe ich beim Lesen. Im Supermarkt lerne ich jeden Tag neue Namen für Lebensmittel und in der Stadt kann ich ganze Werbetafeln entziffern. “Die beste Wahl für mich und meine Familie”, “Größeres Taxi, gleicher Preis!” und mein Liebling “Wenn Sie ihr Geld nicht kontrollieren, wird ihr Geld Sie kontrollieren.”
Klikkige ok!
Und dann gibt es da ganz viel, was ich nicht verstehe. Google Translator vertraue ich da nicht so ganz. Auf der Suche nach einem Wörterbuch, lerne ich die Buchhandlungen Estlands kennen und fühle mich sofort sehr wohl. Die Fremdsprachen-Abteilung wirkt auf den ersten Blick groß, aber enttäuscht mich nach ausführlicher Suche. Ich finde Wörterbücher mit nur 1000 Anfänger-Vokabeln, und einseitige Wörterbücher, in denen die estnischen Wörter auf estnisch umschrieben sind. Ein Wörterbuch entspricht meinen Vorstellungen, ist aber leider auf Portugiesisch. Ich frage die Buchhändlerin, ob sie auch die Estnisch-Deutsch-Version auf Lager haben. Ein paar Mausklicke später, muss sie mir mitteilen, dass es leider ausverkauft ist. Bestellen kann ich es auch nicht, aber vielleicht gibt es dieses System ja nur in Deutschland.
Zu Hause werde ich eines Besseren belehrt. Das Wörterbuch ist tatsächlich ausverkauft, aber nicht nur in einer Buchhandlung, sondern in ganz Estland. Manchmal fühlt sich ein Staat mit 1,1 Millionen EinwohnerInnen doch ziemlich klein an.
Ganz aussichtslos ist das Estnisch lernen aber für mich nicht. Mir wurde ein Online-Tutorial empfohlen, dass sich tatsächlich als sehr hilfreich entpuppt. Es gibt kleine animierte Videosequenzen, Clips, in denen die Grammatik erklärt wird, und Kreuzworträtsel zum Wörter lernen. Einzige Irritation waren bisher die Vokabeln für Berufe. Neben Arzt, Bauarbeiter und Lehrer, bekam ich hier auch das Wort für Grenzbeamter präsentiert. Ungewöhnlich. “Klikkige ok!”, erklärt mir meine virtuelle Estnisch-Lehrerin.
Um mich ein bisschen praktischer mit Estnisch zu beschäftigen, bin ich außerdem einem Chor beigetreten. Aber der verdient im Grunde auch seinen eigenen Artikel.