Der Nicht-live-Liveticker

29 1/2 Stunden Busfahrt von Hannover nach Tallinn. 4 Grenzüberschreitungen innerhalb eines Tages. Genug Zeit auf jeden Fall für ein paar Beobachtungen und lange Blicke aus dem Fenster.

24.08.2016

17:32 Deutschland, Hannover. Der Bus ist losgefahren. Eigentlich eine Stunde früher, aber hier herrscht schon in Hannover baltische Zeit. Dann kann ich ja jetzt schon anfangen mit dem Einleben. Ich habe eine ganze Sitzreihe für mich alleine.

19:17 Fünf Minuten Stopp irgendwo vor Berlin. Fünf Minuten habe ich verstanden, obwohl das mehr litauisch (vermutlich) war als deutsch. Auf Klo gehen trau ich mich nicht. Nachher ist der Bus sonst weg. Also kurz rumlaufen. Fertig.

20:28 Deutschland, Berlin. Ich dachte wir haben Verspätung. Aber dann taucht Berlin quasi ohne Vorwarnung auf und wir sind sehr pünktlich da.

22:09 Polnische Grenze. Die Busfahrer haben Wasserflaschen verteilt – meine Versorgung scheint gesichert. Vor der Grenze fängt uns ein Polizeiauto mit blinkendem “Bitte folgen” ab. Deutsche Polizisten kontrollieren unsere Pässe. Dabei wollen wir doch raus aus Deutschland.

22:42 Der Bus tankt. Zehn Minuten Spaziergang für uns. Hinter mir unterhält sich ein Litauer mit einem Deutschen. Erzählt von der Gastfreundschaft seiner Landsleute. Früher sei er immer Fähre gefahren. Da kann man wenigstens rauchen, wenn man will. Auf seinem T-Shirt steht: Ich liebe Litauen. Dazu die Landesfarben grün, gelb und rot.

25.08.

5:00 Polen, Warschau. Auf zwei Bussitzen gibt es ziemlich viele Kombinationsmöglichkeiten zum Schlummern. Meistens schlafen einzelne Körperteile vor mir ein. Ich bekomme einen Sitznachbarn. Warschau erinnert mich mit den einzelnen Glashochhäusern an Breslau, aber da könnte mich meine Erinnerung täuschen.

6:57 Mein polnischer Sitznachbar versucht eine Bierflasche mit den Händen zu öffnen. Es klappt.

11:23 Litauen, Marijampole. Der Busfahrer sagt einmal “Marijampole”, umrundet den modernen Busbahnhof (von hier kann man auch nach Paris oder London) und fährt dann einfach weiter. Die Stadt sieht sehr gepflegt aus. Nur einzelne leerstehende Häuser stören diesen Eindruck. Die Zeitzone passt endlich zur Busuhr.

busneu
Köln – Berlin – Warschau – Kaunas – Riga

12:22 Litauen, Kaunas. Neben uns steht ein Bus, der wie unserer mit “Köln-Riga” beschriftet ist. Ich bin verwirrt. Zu denken gibt mir auch das Vilnius-Mysterium. Es wurde einmal durchgesagt und auf dem Bus steht auch, dass wir dort langfahren. Online war von Vilnius dagegen keine Rede. Es ist jetzt heiß geworden. Gerade habe ich einen Bauarbeiter unter einer Brücke entdeckt, der im Gras liegt, um die Sonne zu genießen. Im Radio läuft eine Version von “Ein Stern, der deinen Namen trägt” auf litauisch.

13:43 Vor mir haben sich zwei Lettinnen angefreundet und nebeneinander gesetzt. Ich bin etwas eifersüchtig.

14:54 Litauen, Panevezys. Die Busbahnhöfe auf der Strecke sind hier deutlich größer als in Deutschland. Vielleicht, weil es sie schon länger gibt? Vielleicht aber auch, weil die Zugverbindungen schlechter sind? Mein selbstgekochter Bulgur-Salat ist bei der Hitze schlecht geworden. Das Vilnius-Mysterium scheint gelöst. Wir sind nicht hingefahren. Auffällig waren auch zwei riesige Friedhofe auf der Strecke hierher, groß wie ganze Dörfer.

Die Umrisse der lettischen Nationalbibliothek. Keine Ampel weit und breit.
Die Umrisse der lettischen Nationalbibliothek. Keine Ampel weit und breit.

17:45 Lettland, Riga. Merke: Wenn du zwei Bustickets hast, drucke sie nicht auf die zwei Seiten des gleichen Blattes. Nach einigem Erklären finden der Busfahrer und ich mein Ticket nach Tallinn wieder. Ich genieße die kurze Zeit in Riga, das gute Wetter, den Blick auf die riesigen Markthallen und laufe ein bisschen weiter, um die imposante Nationalbibliothek von Weitem zu sehen. Werde von einem Betrunkenen angelabert. “Did you see that?” Er deutet einen Blitz an, der aus dem Himmel kommt. “Maybe it was only in my head. How do you call that?” Ähhh, crazy. Während er darüber nachdenkt, gehe ich weiter und beobachte, wie der Typ zig andere Leute anpöbelt.

21:08 Estland, Pärnu. Endlich! Ich bin etwas überenthusiastisch, was estnische Wörter angeht. Die Wörter für Immobilienmakler und Buchhalter habe ich mir eigentlich nur aus Versehen gemerkt und mich geärgert, weil ich sie unnötig fand. Jetzt lese ich beides auf einem Gebäude und bin begeistert. Die estnische Landschaft besteht vor allem aus Fichten- und Birkenwäldern. Wir fahren ein Stück an der Ostsee entlang mit Blick auf den Sonnenuntergang. Der neue Bus hat Tabletfernseher an jedem Sitz.

23:11 Estland, Tallinn. Angekommen. Der Taxifahrer freut sich, dass ich ihm auf Estnisch die Adresse sagen kann und versucht es gleich mit mehr Estnisch. Zu schnell für mich. Ich sehe Tallinn das erste Mal im Dunkeln und sehne mich nach einer Dusche.